Die alte Linde in Sinzig

VON MAX DÜNHÖFT

Am Eingang der Stadt Sinzig, an der Straße nach Niederbreisig, steht eine alte Linde. Ihr knorriger Stamm hat einen Umfang von 4,70 m und ist hohl. Maurer haben ihn mit Steinen ausgebaut. Weit breitet die Linde ihre Äste über die Straße. Sie werden von starken Eisenbändern gehalten. Die Linde ist wohl 250 Jahre alt. Die Zahl 1688 steht auf einem Kreuz unter der Linde, und Kreuz und Linde haben wohl zur gleichen Zeit ihre Aufstellung dort gefunden.

Die Linde hat vieles gesehen und gute und schlechte Zeiten erlebt. Schon als junges Bäumchen erlebte sie, daß französische Raubhorden durch die Stadt zogen, brannten und plünderten. Manch sorgenvolles Wort hörte sie in jenen schlimmen Zeiten. Dann wurde es wieder besser. Fremde Kaufleute brachten ihre Waren an ihr vorbei. Der Bauer zog mit Pflug und Wagen vorbei ins Feld. Abends saßen junge Burschen und Mädchen unter ihr, sangen und schwatzten. Dann kamen wieder schreckliche Jahre. Französische Revolutionsheere besetzten die Stadt. Wieder waren es schlimme Zeiten. Die Linde litt mit den Leuten der Stadt. Eines Tages, es war im Jahre 1794, hörte sie ein großes Ge-polter. Die Franzosen rissen die Tore der Stadt und die Türme nieder. Wie weh tat es dem Baume! Nun hörte er nicht mehr morgens und abends den Türmer vom hohen Turme blasen. Unvergessen bleibt ihm der Fronleichnamstag des Jahres 1758, denn vom hohen Turme der Peterskirche ertönte die Brandglocke. Aufgeregt liefen die Leute durch die Straßen, um zu löschen und zu retten, was zu retten war. Aber vergebens. Die alte Stadt brannte fast vollständig nieder.

Aber auch wieder bessere Zeiten kamen. Napoleon wurde mit seinen Soldaten aus dem Lande vertrieben. Deutsche Soldaten zogen an ihr vorüber oder rasteten unter ihr. Weit breitete sie ihre Äste aus, um allen müden Menschen Schatten zu spenden. Nun kamen ruhigere Zeiten, und doch waren sie für die Linde aufregend. Junge Leute saßen auf hohen Rädern und bewegten die Beine auf und ab. Nein, war das spaßig, wie rasch sie sich fortbewegten! Später kamen sogar Wagen, die von selbst fuhren. In der Nähe der Linde wurde ein Mast aufgestellt und Drähte an ihm befestigt.

Tag und Nacht hörte sie ein leises Summen in den Drähten.

Nicht weit von ihr fuhr eines Tages pustend und prustend ein schwarzes Ungeheuer auf Schienen vorbei; dichte Rauchwolken aus einem Rohr ausstoßend und viele Wagen hinter sich herschleppend. Bald hatte sie sich an die neue Zeit gewöhnt. Der Verkehr wurde immer größer, und heute sieht sie kaum noch die vielen Autos und Motorräder vorbeisausen. Sie gerät nur in Aufregung, wenn durch großes Rasen der Verkehrsmittel ein Unglück passiert. Recht oft schon hat sie Autounfälle erlebt und dabei Tote und Verletzte gesehen. Nun folgte eine neue Zeit. Es war das Jahr 1914. Singend und winkend fuhren unsere Soldaten in großen Transportzügen vorbei. Oft schallte ihr Gesang entgegen. „In der Heimat, da gibt's ein Wiedersehn." Viele dieser Krieger sah sie wiederkommen, als sie 1918 in endlosen Kolonnen heimkehrten. Viele aber kamen nicht mehr. Sie deckt der grüne Rasen im Osten oder Westen Europas. Dann kamen fremde Truppen, Amerikaner, Engländer, Franzosen und Schwarze ins Land. Fremde Laute schallten unserer Linde entgegen. Dann wurde es still um sie.

Baumchirurgen behandeln die Sinziger Linde

P. Menzen, Naturschutz Bad Godesberg, begutachtete am 27. Juni 1967 die Sinziger Linde und fand Alter und Mächtigkeit dieses Baumes für unsere Gegend einmalig. Er forderte dringende Maßnahmen zur Erhaltung: Entfernung der Eisenbänder- Kürzung mehrerer Äste. Er empfahl den Baumchirurgen Maurer aus Rötenbach bei Nürnberg. Gartenarchitekt Straßberger vom Botanischen Garten der Universität Bonn lieferte ein Gutachten unter dein 29. Juni 1967. Die Sinziger Linde sei das älteste Exemplar des ganzen Bezirks, eine kleinblättrige Linde (Tilia parvifolia), Alter etwa 250—300 Jahre, Umfang 5 m, Stammdurchmesser 180 cm. Er forderte Sanierung, Entfernung der Zementplomben, Vernichtung der Bakterien und Pilze, die sich wahrscheinlich unter dem Zement gebildet hätten. Der Baum sei schlecht ernährt.

Im Sommer 1968 (ab 10. Juni 1968) übernimmt Maurers Baumpflege die erforderlichen Maßnahmen. Man bezeichnet es als Glück, daß die Linde bei dem Straßenumbau nicht gelitten habe. Vergleiche ergäben, daß der Baum wahrscheinlich 1648 zur Friedensfeier gesetzt worden sei.

Notwendig erschienen folgende Maßnahmen:

Im unteren Baum:
Eine Tiefenvorratsfütterung mit Baumfutter, Alginat und Trocken-Rinderdung, zur Belüftung Bohrung von Löchern und Füllung mit Gemisch, Abdeckung mit Rieselkies.

Im oberen Baum:
Entfernung der würgenden Schlauderringe und des Betons, Verwendung von 6 Stahlseilankern, Anbringung von Kallusschlitzen, Entfernung pilzbefallenen Holzes, abdrexeln und abhobeln, tränken mit pilzhemmenden Mitteln, mit Lacbalsam (künstl. Rinde ähnlich) überziehen;

Gewindestäbe mit Uberrohren einziehen zur Stärkung der Stammwand (= „Vernähung" der Wunde) Innenwurzeln in Stammwand sollten geschont werden, waren aber nicht vorhanden.

Die große Öffnung im Stamm wurde mit Baustahlgewebe und dahinter mit haltbarem feinem Geflecht verschlossen.

Die baumchirurgische Behandlung war im August 1968 beendet. Die Kosten trug die Stadt Simig, unterstützt durch einen erheblichen Landeszuschuß.