Der Fischerknabe am Laacher See

Andreas Breuer

Viele alte Mär ist mancherorts noch recht lebendig. Auch im Orte Glees, nahe dem Laacher See mit der weithin bekannten Benediktinerabtei Maria Laach, die kommunalpolitisch zu Glees gehört, erzählen sich die Großeltern zum Ergötzen der Enkel vielerlei Geschichten, die mit der Abtei und dem See verknüpft sind.

Also hatte vor vielen hundert Jahren, als die Gleeser Einwohner nicht nur Landwirtschaft betrieben, sondern auch dem Fischfang im See oblagen, die Großmutter ihrem Enkel, einem lebensfrohen Fischerknaben, eines Wintertages am prasselndem Ofenfeuer, von dem prächtigen Schlosse und den mannigfaltigen Schätzen erzählt, die in der Tiefe des Laacher Sees verborgen seien. Der Fischerknabe hatte des öfteren schon davon erzählen gehört, wenn die Fischer ihre Netze ausgeworfen hatten und sie im Kahne sitzend und auf den Fang wartend mit derlei Mär und anderen Geschichten die Zeit vertrieben. Da nun die Großmutter auch davon erzählte, ging dem Fischerknaben das Herz weit auf und sein ganzes Sinnen und Trachten stand danach, sich selbst davon zu überzeugen.

In der ersten Frühlingsvollmondnacht, als alles im tiefsten Schlafe lag, schlich er sich heimlich aus seinem Vaterhaus und eilte rasch und furchtlos über den Berg zum Ufer des Sees. Im silbern glänzenden Lichte des Vollmondes, der geheimnisvoll über den See glitzerte, fand er leicht die Fischerkähne. Er löste einen von der Kette und ruderte flott und mit viel Geschick nach des Wassers Mitte. Zuweilen beschlich ihn ein Frösteln, aber er sprach sich selbst Mut zu und sagte: »In dieser Nacht will ich wissen, ob die Großmutter recht hat mit ihrem Erzählen. Ich will die Wahrheit wissen. Ihr bin ich auf der Spur.«

So näherte er sich der Mitte, da hörte er ein wundersames Singen aus der Tiefe. Es war ihm, als ob Harfen und Flöten tönten, auch schien es ihm nach Becher- und Waffenklang zu klingen. Er legte die Ruder bei und beugte sich über den Rand des Nachen, um besser zu hören und vielleicht zu sehen, was da aus der Tiefe heraufscholl. In der Tat, aus der Tiefe glänzte ihm ein prächtiges Schloß von kristallner Schönheit, mit strahlend hell erleuchteten Sälen entgegen, in denen Wasserjungfrauen und Nixen lustige Reigen aufführten.

Kaum hatten diese den Fischerknaben im silbernen Mondenscheine erblickt, da stiegen sie zu ihm auf und riefen ihm mit heller Stimme zu: »Komm, trauter Geselle, zu uns herab; wir warten schon lange auf dich, alle unsere Schätze gehören auch dir, wenn du zu uns kommst.« Er wußte nicht, wie ihm geschah, so wundersam beglückt war er, und ganz eigenartig war dem Knaben ums Herz. Jubelnd rief er: »Großmutter, du hast nicht gelogen!«, sprang aus dem Kahn und stürzte sich in die Tiefe hinab. Mitunter hat heute jemand das Glück, daß er bei Vollmondschein unter den hohen Buchen nahe beim Ufer des Laacher See verweilt. Dann hört auch er das feine Tönen aus der Tiefe, vereint mit der hellen Knabenstimme. Aber nur wer einfachen Gemütes ist, kann solches vernehmen. Ja, und wer hat sich heute noch ein einfaches Gemüt bewahrt?