75 Jahre Nürburgring – eine Rennstrecke im Rückspiegel

Michael Behrndt

Hätte Gottfried Kinkel die Eifel 100 Jahre später bereist, wäre sein Urteil sicher anders ausgefallen. 1849 aber beschrieb er seine Eindrücke so: „An den Felskegel der Nürburg lehnt sich, erst ganz in der Nähe sichtbar, das elende Dörfchen gleichen Namens, das höchstgelegene Dorf in der Eifel, das in dieser Höhe sich nur noch von Viehzucht nähren kann. Nur die Nähe des bedeutenden Herrensitzes konnte den Bauern bewegen, sich in dieser Öde niederzulassen".

Die wirtschaftlichen Verhältnisse blieben auch in den folgenden 75 Jahren schlecht. Die Landwirtschaft bestand aus Klein- und Kleinstbetrieben. Die Bauern und ihre Familien waren oft auf Nebenerwerbstätigkeiten angewiesen. Bot auch dieser Nebenerwerb, der hauptsächlich in der Waldwirtschaft gesucht wurde, kein Auskommen mehr, so blieb nur noch die Abwanderung in fernab liegende Industriegebiete.

Planung und Bau

Nachdem der Erste Weltkrieg erste, vage Überlegungen für eine Rennstrecke in Deutschland zunichte gemacht hatte, lebten diese Ideen in den zwanziger Jahren im Zuge der zunehmenden Motorisierung wieder auf. Rennen wurden bis dahin vorwiegend auf öffentlichen Straßen ausgetragen, mit den damit verbundenen Gefahren. So schloss eine Bekanntmachung des Dürener Bürgermeisters Dr. Jarres aus dem Jahr 1905, mit der er über eine Zuverlässigkeitsfahrt für Motorräder informierte, mit dem Hinweis: „Auf Vorstehendes wird hierdurch mit dem Verwarnen aufmerksam gemacht, zur Vermeidung von Unglücksfällen in der fraglichen Zeit keine kleinen Kinder unbeaufsichtigt auf die in Betracht kommenden Straßen zu lassen".

Bei einem dieser Rennen auf öffentlichen Straßen, dem Eifelrennen in Nideggen kam Hans Weidenbrück, seinerzeit Pächter der Gemeindejagd in Nürburg, 1924 auf den Gedanken, eine permanente Rennstrecke in seinem Jagd-revier entstehen zu lassen. Die Idee fiel auf fruchtbaren Boden, wurde vom damaligen Adenauer Landrat Dr. Creutz mutig aufgegriffen und zielstrebig umgesetzt. Im Januar 1925 gründete Weidenbrück den ADAC Ortsclub Adenau, Dr. Creutz wurde der Vorsitzende. Nur zwei Jahre dauerten die Planungen, das Beschaffen der notwendigen Gelder sowie der Bau selbst, im Mai 1927 fand bereits das erste Rennen statt. Die erhofften Impulse für die Region folgten tatsächlich, aber der mit 2 Millionen Mark veranschlagte Bau der Rennstrecke kostete schließlich fast 14 Millionen. Die 1928 gegründete Nürburgring GmbH stand 1932 bereits am Abgrund. In Folge der Weltwirtschaftskrise waren Rennen und damit erhebliche Einnahmen ausgefallen, Schulden aus der Zeit des Baus drückten. Schuldenerlass und weitere staatliche Hilfe sicherten das Überleben des Nürburgrings, der Kreis Adenau aber wurde 1932 aufgelöst.

Bau des Nürburgrings: Die Wehrseifenbrücke 1926

Rennsportgeschichte

Erst 1934, mit dem Einstieg von Mercedes und Auto Union in den internationalen Motorsport, kamen bessere Zeiten. Deutsche Fahrer auf deutschen Autos, das passte nicht nur den nationalsozialistischen Machthabern ins Konzept, das schuf eine ungeheure Begeisterung und sorgte für beachtliche Zuschauerzahlen am Nürburgring. Legendär die Rennen dieser Zeit, die Siege von Nuvolari, Caracciola oder Stuck. Der Krieg beendete diese erste Phase der Silberpfeile, die wenige Jahre nach Kriegsende ihre Fortsetzung fand. Wieder wurde am Nürburgring Rennsportgeschichte geschrieben, so von Juan Manuel Fangio durch seinen Sieg 1954 auf Mercedes und dem legendären Großen Preis von Deutschland 1957, den er aus aussichtsloser Position mit seinem Maserati dennoch gewann.

Neben dem Eifelrennen und dem Großen Preis von Deutschland wurde ab 1953 ein weiteres Rennen als Großveranstaltung in den Dauerkalender aufgenommen: Das 1000-km-Rennen. Es begeisterte die Massen in gleicher Weise wie die Grand Prix, waren doch auch bei diesen Rennen viele der damaligen Formel-l-Rennfahrer am Start.

Den größten Zuschaueransturm galt es immer zu verzeichnen, wenn deutsche Fahrer aussichtsreich ins Rennen gingen, wie 1961 beim Großen Preis von Deutschland. 300000 Zuschauer sollen den Ring gesäumt haben, als Wolfgang Graf Berghe von Trips mit seinem zweiten Platz hinter Stirling Moss die Führung in der Weltmeisterschaftswertung ausbaute.

Es sollte zwar bis 1976 dauern, bis das Ende der Nordschleife als Grand-Prix-Strecke kam. Der Beginn zu dieser Entwicklung lag aber bereits am Ende der 60er Jahre. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Gefahren des Rennsports mehr oder weniger klaglos hingenommen. Unfälle mit Verletzten und Toten waren an der Tagesordnung und so lange davon nur die Fahrer betroffen waren, führten Ereignisse dieser Art selten zu weiteren Maßnahmen. Die Risiken waren bekannt und wurden als unvermeidbar mit dem Rennsport in Zusammenhang stehend akzeptiert, der Rennfahrertod gehörte zum Berufsrisiko der Piloten.

Die zunehmende Rolle des Fernsehens und in der Folge das verstärkt einsetzende Engagement von Sponsoren sorgten hier ebenso für einen grundlegenden Wandel wie die zunehmende Professionalisierung des Motorsports. Als 1967 der Ferrari von Lorenzo Bandini beim Großen Preis von Monaco in Flammen aufging, waren Millionen Fernsehzuschauer live Zeugen des dramatischen Geschehens. Mehrere Minuten war er im Cockpit des umgestürzten Ferrari gefangen und es gelang den unzureichend ausgerüsteten Streckenposten nicht, ihn den Flammen zu entreißen. Kritik kam danach nicht nur an den Sicherheitsmaßnahmen auf, der Motorsport selbst stand am Pranger.

1968 wurde erstmals branchenfremde Werbung auf den Rennwagen zugelassen. Einer der ersten Hersteller, die Verträge mit einem Tabakkonzern abschlossen, war das Lotus- Team von Colin Chapman und seinem Spitzenfahrer Jim Clark, dem Weltmeister von 1963 und 1965. Kaum hatten die Lotus-Rennwagen ihr traditionelles British-Racing-Green gegen die rot-weiß-goldenen Sponsorfarben eingetauscht, verunglückte Clark bei einem Formel-2-Rennen in Hockenheim tödlich. Die Fotos des Wracks gingen um die Welt, und mit ihnen das Firmenlogo des Werbepartners. Dies war nicht der von den Sponsoren angestrebte Werbeeffekt.

Volksfeststimmung am Karussell: 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife

Die Professionalisierung blieb nicht ohne Folgen für das Feld der Spitzenfahrer. Die Generation der Herrenfahrer gehörte nun endgültig der Vergangenheit an, die neuen Champions frönten ihrer Leidenschaft und nutzten mit dem gleichen Engagement ihre wachsenden Vermarktungsmöglichkeiten. Dabei war ihre Gesundheit zugleich ihr Kapital. Die Gründung der Grand-Prix-Drivers-Association (GPDA) als Interessenvertretung der Fahrer hatte vor allen Dingen ein Ziel: Die Verbesserung der Sicherheit im Rennsport.

Neben der persönlichen Ausrüstung (feuerabweisende Overalls, Integralhelme usw.) wurden zunächst auch die Sicherheit der Rennwagen verbessert. Verstärkte Überrollbügel, Sicherheitsgurte und Experimente mit bruchsicheren Benzintanks waren erste Betätigungsfelder.

In diesem Zusammenhang war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Rennstrecken in das Blickfeld geraten würden. Schon 1969 fiel der Grand Prix von Belgien aus, weil die Rennstrecke in Spa-Franchorchamps den Sicherheitsvorstellungen der Fahrer nicht mehr entsprach, ein Jahr später traf es erstmals den Nürburgring. In der Eifel war zwar ein auf mehrere Jahre verteiltes Arbeitsprogramm zur Verbesserung der Streckensicherung in Angriff genommen worden, aber unter dem Eindruck der tödlichen Unfälle von Bruce McLaren bei Testfahrten in Goodwood und Piers Courage beim Großen Preis der Niederlande in Zandvoort beschlossen die Fahrer jedoch, die Fertigstellung der Maßnahmen bereits für 1970 zu fordern. Nur einen Monat vor dem GP von Deutschland wurde ein Forderungskatalog aufgestellt, der bis zum Rennen nicht erfüllbar war. Der Große Preis von Deutschland fand in Hockenheim statt. Jackie Stewart, noch 1968 unter extremen Wetterbedingungen Sieger im Großen Preis von Deutschland spielte dabei eine wichtige Rolle. Seine Kritik: „Was hat sich seit Caracciolas Zeiten denn hier geändert? Nichts, nur die Bäume wurden dicker".

Großer Preis von Deutschland 1974; Niki Lauda im Ferrari

Um- und Ausbau

Es folgte der umfassendste Umbau der Nordschleife in ihrer Geschichte. Die Maßnahmen kosteten im Zeitraum 1971 bis 1976 insgesamt 17 Millionen DM. Weitsichtige Kenner der Szene plädierten schon damals für den Bau eines verkürzten Rings mit ca. 7 km Länge, aber noch genoss die Nordschleife Priorität.

Alle Gräben wurden kanalisiert, die Randstreifen verbreitert, die Sprunghügel im Kesselchen, im Brünnchen und am Schwalbenschwanz entfernt. Die Kurveninnenränder wurden mit Curbs ausgestattet.

Die Sicherheitsprobleme waren zunächst gelöst, die Formel 1 kehrte 1971 zum Nürburg-ring zurück. Geblieben war der organisatorische Aufwand, den eine Streckenlänge von 22,8 km erforderte.

Zu Unrecht wurde und wird der Österreicher Niki Lauda als der Schuldige für das Ende der Nordschleife als Grand-Prix- Strecke angesehen. Schon 1974 erstellte das Straßenbauamt Koblenz auf Initiative der Nürburgring GmbH erstmals Planskizzen für die Schaffung einer kürzeren Rennstrecke, die ersten Denkmodelle für den neuen Nürburgring. Die Gründe hierfür lagen in dem sich abzeichnenden Trend zu immer kürzeren Rennstrecken. Die Fahrer forderten sie aus Sicherheitsgründen, die Veranstalter wegen der enorm hohen Aufwendungen für Organisation und Sicherheit an einer fast 23 km langen Strecke wie der Nordschleife. In einem Schreiben an die Nürburgring-GmbH stellte der damalige ADAC-Präsident Otto Flimm u.a fest: „Der Nürburgring ist veraltet und von den Kosten her einfach zu aufwendig …!" Bei Großveranstaltungen muss­ten bis zu 1200 Personen als Helfer oder Absperrposten eingesetzt werden.

Formel 1 und Renngeschichte von morgen

Seine Finanzierung war lange Zeit ungewiss, sein Streckenverlauf dann ein Kompromiss zwischen der Wunschstrecke und den verfügbaren Geldern. 1984 wurde die neue Grand-Prix-Strecke eröffnet, die Formel 1 kehrte in die Eifel zurück. Allerdings nur für zwei Jahre, dann folgte eine erneute Pause. Grund war diesmal, dass der Formel-I- Zirkus die Vermarktung der Werbeflächen am Ring für sich beanspruchte. Die modernste und sicherste Rennstrecke Europas wurde aus wirtschaftlichen Gründen links liegen gelassen. Mit dem Truck-Grand-Prix und „Rock am Ring" stellten die Verantwortlichen der Nürburg-ring-GmbH das wirtschaftliche Überleben sicher. Anfang der neunziger Jahre setzte dann ein bis heute andauernder Boom im Motorsport ein, der zumindest aus deutscher Sicht einen Namen trägt: Michael Schumacher. Mit ihm kehrte die Königsklasse des Motorsports an den Ring zurück und bescherte ihm seit 1995 fast durchgehend ein ausverkauftes Haus.

Wenn ältere Rennsportfans mit Wehmut an die guten alten Zeiten der Nordschleife denken, dann hat das viele Gründe. Auch wenn die Rennwagen bei einem Grand Prix nur 14 Runden drehten, die Zuschauer waren dem Geschehen ungleich näher, an einigen Stellen sicher auch gefährlich nah. Noch 1972 kostete die Eintrittskarte für einen Streckenplatz bei einem Formel-1-Rennen DM 5,00, die Stars der Szene waren allmorgentlich auf ihrem Weg vom Sporthotel zum Fahrerlager zu bewundern und nicht so hermetisch abgeschirmt wie heute. Wer ein 1000-km-Rennen zu einer Wanderung entlang der Strecke nutzte, bekam eine Fülle interessanter Fotomotive vor die Linse und sammelte weitaus vielfältigere Eindrücke, als dies heute möglich ist. Aber die nunmehr bald 75 Jahre andauernde Geschichte des Nürburgrings wird nun schon seit 1984 überwiegend auf der heutigen Grand-Prix-Strecke geschrieben, der „neue" Ring ist so neu eigentlich nicht mehr. Auch dort gab es schon legendäre Rennen, man denke nur an Michael Schumachers Sieg 1995. Dort wird heute die Renngeschichte von morgen geschrieben. Dass es dabei bleiben soll, ist erklärtes Ziel. Mit großem Aufwand wurde erst in den zurückliegenden Monaten die Boxenanlage auf modernsten Stand gebracht. Die traditionsreichen Continental- und Dunloptürme gehören ebenso der Vergangenheit an wie das Sporthotel „Tribüne". Wenigstens das alte Fahrerlager blieb erhalten. Es hätte Denkmalschutz verdient, damit die Geschichte des Nürburgrings zumindest dort greifbar bleibt.