Der Eifelschreck - die V 1 während des Zweiten Weltkrieges im Kreis Ahrweiler

Wolfgang Gückelhorn

Im Jahre 2004/2005 jährt sich zum 60. Male die Phase der Kriegsgeschichte des II. Weltkrieges, die auch auf dem Gebiet des Landkreises Ahrweiler durch Bomben, Beschuss und Kampfhandlungen viele Opfer auf beiden Seiten der Front forderte. Zu den damals eingesetzten Waffen gehörten auch die Flugkörper V 1, die von der nationalsozialistischen Propaganda als „Vergeltungswaffen“ und „Wunderwaffen“ bezeichnet wurden. Ihre Entwicklung war richtungsweisend für die Waffentechnik der Nachkriegszeit im „Kalten Krieg“. So wurden „Cruise Missile“ sowohl im Balkan – als auch in den beiden Irakkriegen eingesetzt. Der zunächst schnelle Vormarsch der Alliierten nach deren Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 verlangsamte sich durch die immer länger werdenden Nachschubwege. Nach der gescheiterten Luftlandeoperation bei Arnheim „Market Garden“ stabilisierte sich die deutsche Westfront am sogenannten „Westwall“ noch einmal. In dieser militärischen Lage erging vom Oberkommando der Wehrmacht der Befehl, die Vergeltungswaffe 1 (V 1) aus dem Rheinischen Raum gegen Städte in Belgien und Holland einzusetzen. Im September 1944 begann man zunächst damit, im Bergischen Land Feuerstellungen für die V 1 zu erkunden und vorzubereiten. Am 15. Oktober 1944 schließlich wurde der Einsatzbefehl konkret: Es sollten 16 Feuerstellungen und 8 Ersatzstellungen in der Eifel, 36 bzw. 15 im rechtsrheinischen und 16 bzw. 8 im holländischen Raum bei Deventer gebaut und betrieben werden. Als Ziele waren Antwerpen, Brüssel, Mons und Lüttich vorgesehen. Das Flak-Regiment 155 (W) - Einsatzverband für die V 1 - hatte bereits ab Ende September 1944 mit dem Stellungsbau auch in der Eifel begonnen. Im Verlaufe des Oktober brachte es die III. Abteilung (entsprechend einem Batallion mit ca. 800-1000 Soldaten) und drei, später vier Batterien (entspr. Kompanien mit 200 Mann), zum Einsatz.

V 1 auf der Rampe fertig zum Abschuss: Unter dem Heck ist der Dampferzeuger.

Zunächst eröffneten am 21. und 24. Oktober zwei Batterien bei Büchel und Laufeld das Feuer auf Brüssel und Antwerpen. Ab dem 15. November 1944 begann auch eine dritte Batterie der Abteilung rund um Wershofen auf den bewaldeten Eifelhöhen mit V 1 zu schießen. Als letztes nahm am 19. Dezember eine Batterie mit drei Geschützen aus den Wäldern westlich von Kelberg den Feuerkampf auf. Bei der V 1 handelte es sich um ein unbemanntes Kleinflugzeug bzw. um einen Flugkörper, der von einem Steuergerät in ein vorprogrammiertes Ziel gelenkt wurde. Die mit 3 Zündern versehene Sprengladung bestand aus 830 Kilogramm Amatol-Sprengstoff, der eine Wirkung wie eine 2-Tonnen-Luftmine hatte. Bei einer Reichweite von knapp 300 km konnte man damals ein Ziel von 10x10 km Größe treffen. Die heutige Weiterentwicklung der V 1, die „Cruise Missile“ hat bei 1000 km Zielentfernung eine Abweichung von maximal 2-3 Metern zum eingegebenen Zielpunkt. Während des gesamten Eifeleinsatzes war das Gebiet des heutigen Landkreises Ahrweiler in mehrfacher Hinsicht betroffen: Im Laacherseehaus war der Gefechtstand der III. Abteilung eingerichtet. Der Nachschub an V 1 lief großenteils über das Feld-Munitionslager (FeldMuLag) 11/XI „Weser“, welches südlich von Wassenach, auf der Randhöhe des Laacher Sees, an der Straße vom Gasthaus Waldfrieden nach Nickenich unter den Bäumen verborgen war. Die von den Herstellerwerken per Reichsbahn angelieferten Flugkörper wurden u. a. auch in den Bahnhöfen Mendig, Brohl und Adenau auf Lkws umgeladen und zu dem Feld-MuLag oder direkt in die Feuerstellungen transportiert. Beim Dorf Hain im Brohltal hatte das Regiment eine Messstelle, bei Kempenich ein Tanklager und auf dem Engelner Kopf eine Funkstelle eingerichtet. Von der Batterie Wershofen lag eine Feuerstellung bei Falkenberg auf Kreisgebiet, drei weitere nur wenige hundert Meter von der Kreisgrenze entfernt. Die Ersatzstellung der Batterie Kelberg zwischen Senscheid und Dankerath liegt genauso im Kreis Ahrweiler wie vier neue Stellungen zwischen Nürburgring und Barweiler, die man zwar ab der 2. Januarwoche zu bauen begann, die aber nicht mehr zum Einsatz kamen. Die Eifelbatterien verschossen in der Zeit vom 21. Oktober 1944 bis zum 5. Februar 1945 insgesamt mehr als 5600 V 1, von denen knapp 1200 (= 21 %) als Frühabstürze registriert worden sind. Obwohl der Flugkörper erst nach 60 Kilometern „scharf“ wurde, detonierten dennoch viele der Flugbomben beim vorzeitigen Absturz. Zum einen war das gesamte Waffensystem technisch noch nicht ausgereift und litt an vielen „Kinderkrankheiten“. Zum anderen berichteten Zeitzeugen aus dem Flak-Regiment 155, dass sie bei gezielten Untersuchungen der V 1 eindeutige Sabotageeinwirkungen festgestellt hätten. Diese frühabstürzenden V 1 hatten in der Eifel viele Tote und Verletzte in der Zivilbevölkerung zur Folge. Auch bei den Soldaten der III. Abteilung gab es durch Schießunfälle Opfer. Die Sachschäden waren außerordentlich. Bürgermeister und Landräte beschwerten sich bei Generälen der Wehrmacht. Bald nach Einsatzbeginn bekam die Wunderwaffe V 1 in der Eifel den bezeichnenden Beinamen „Eifelschreck“.

Allerdings waren die vielen Frühabstürze keine Überraschung , weil gerade bei der Produktion dieser Waffe ausländische und deutsche Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen eingesetzt wurden. Unter dem Kommando der SS kamen im Untertagewerk „Mittelbau Dora“ bei Nordhausen/Südharz sehr viele der Geknechteten ums Leben.

Nicht nur während der Einsatzzeit im Kriege, sondern auch noch viele Jahre danach, kamen Eifelaner zu Tode, die die gefährlichen Zünder der V 1 berührten. Diese hochexplosiven Geräte wurden beim Frühabsturz meistens in die  Gegend geschleudert. Die Kampfmittel-Räumdienste der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben noch bis in die 1990er Jahre einzelne frühabgestürzte V 1 gefunden und unschädlich gemacht. Eine weitere Gefährdung der Eifelbevölkerung im Herbst und Winter 1944/45 darf nicht unerwähnt bleiben. Die alliierten Jagdbomber beherrschten den Luftraum über der Eifel und schossen mit ihren schweren Maschinengewehren nicht nur auf jedes Fahrzeug, sondern auch auf Einzelpersonen, die sie erkannten. Der US Luftwaffe gelang es ab November 1944 die meisten der V 1 Stellungen aufzuklären.

V 2 Rakete beim Start

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die bis heute unbeantwortete Frage, weshalb die erkannten Feuerstellungen nicht durch gezielte Bombenangriffe zerstört worden sind. Lediglich die Stellung bei Lommersdorf, die zur Batterie Wershofen gehörte, wurde durch Zufall Opfer eines Jaboangriffes. Diese Stellung wurde damals völlig zerstört . Die Luftangriffe galten aber vor allem den Verkehrswegen und militärischen Einrichtungen im Hinterland der Eifelfront, die erst Anfang März 1945 von der US Armee durchbrochen worden ist. Die V 1 Batterien waren bis Ende Februar 1945 vollständig aus der Eifel abgezogen und in den Westerwald bzw. die Nutscheidwälder nördlich der Sieg verlegt worden. Aus den Wäldern nördlich von Eitdorf/Sieg wurden in der Zeit vom 11. bis 18. März 1945 nochmals etwa 145 Flugbomben nach Antwerpen verschossen. Gerade zu dieser Zeit gab es auch im Landkreis Ahrweiler Opfer in der Zivilbevölkerung durch Vergeltungswaffen: Am 17. März schoss die SS-Werferabteilung 500 in der Zeit von 9 Uhr 47 bis 21 Uhr 45 elf  V 2 Raketen auf die Eisenbahnbrücke von Remagen. Diese war am 7. März nachmittags durch eine Infanterie-Kompanie der 9. US Panzer-Division im Handstreich genommen worden. In den darauf folgenden Tagen und Wochen versuchte die deutsche Wehrmacht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln diese entscheidende Brücke zu zerstören. Alle Versuche  jedoch mit schwerster Artillerie, zweistrahligen Düsenbombern, Kampfschwimmern der SS und der Wunderwaffe V 2 waren erfolglos. Die V 2 Rakete, welche am 17. März 1945 um 15 Uhr 42 abgeschossen wurde, schlug im Remagener Stadtteil Oedingen ein und forderte sechs Menschenleben und viele Verletzte.

Quellen:

Kriegstagebuch III. Abteilung/Flak-Regiment 155 (W) ,Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg Verlade- und Transportübung mit V 1 (V 1 Foto), BA/MA , Freiburg ; Ortschronik Oedingen