Zwischen Sinzig und Rio

Gespräch mit Stephan Glöckner und Winfried Schuld von der multikulturellen Institution menino

Jochen Arlt

menino: New Latin Pop, UNICEF-CD, Volkswagen-Soundfoundation und „Hilfe für Straßenkinder e.V.“. menino: Das Projekt Erê, Uma Hora-Tour und Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. menino: TOCA-Records, TOCA-Studios und TOCA-Vertrieb. menino: Musikmelangen aus Samba, Reggae, Afro, Rap, Salsa. menino: Gesangsexperimente mit Sprachmix aus Brasilianisch, Englisch, Deutsch. menino: Von Sinzig nach Rio und zurück.
menino: Uli Krämer (Drums), Reto Mandelkow (Sax, Perc, Voc), Mike Schak (Guitars), Jürgen Schuld (Lead-Perc). menino: Mit den beiden Gründungsmitgliedern Stephan-Maria Glöckner (Lead Vocals, Gitarre) und Winfried Schuld (Keys, Akk, Perc, Voc) unterhielt sich Jochen Arlt.

Die Mitglieder der Gruppe menino: (v. l.) Uli Krämer (Schlagzeug), Jürgen Schuld (Percussion), Reto Mandelkow (Saxophon, Mike Schak (Gitarre) Stephan-Maria Glöckner (Gesang, Gitarre), Winfried Schuld (Keyboards), Pano Petrakakis (Bass)

„menino“ ist die rhythmische Sound-Verknüpfung von Europa und Brasilien, wissen nicht nur Musikinteressierte über den Landkreis Ahrweiler hinaus. Wie begannen diese anhaltenden Gemeinsamkeiten zwischen Sinzig und Salvador? Wer, was war der schöpferische Auslöser?
Stephan Glöckner: Ich bin 1987 für mehrere Monate in Brasilien gewesen und habe dort die farbige und rhythmisch kreative Kultur aufgesaugt. Musikalisch und künstlerisch war dies für mich ein großer Schritt nach vorne. Das Ergebnis dieser Eindrücke haben wir in unserenmusikalischen Stil gekleidet. Seither lässt mich Brasilien nicht mehr los.

Und dann ist da die mildtätige Institution „menino - Hilfe für Straßenkinder e. V..“. . .
Stephan Glöckner: Wer Brasilien kennen will, muss auch die dunkle Seite wahrnehmen. Es gibt Massen von verwahrlosten Kindern, die dem Drogensumpf nicht entkommen. Uns hat das extrem berührt. Es gibt aber Menschen, die sich ihrer annehmen. Die wollen wir nachhaltig unterstützen.

Welche personelle und organisatorische Größenordnung erfordert ein Unternehmen mit den Schwerpunkten Kreativität plus Sozialarbeit?
Stephan Glöckner: menino ist letztlich so aufwändig wie ein kleines Unternehmen mit vielen freien Mitarbeitern. Ideen entwickeln, Umsetzung organisieren und weiterplanen. Man muss dran bleiben. An der Sache, am Puls un dann sich selbst. Dafür bekommt man viel zurück.

Hätte die sechswöchige Uma Hora-Tour von Alagos bis Rio auch ohne den Volkswagen-Konzern als Sponsor realisiert werden können?
Stephan Glöckner: Nur durch ähnlich potente Unternehmen. Die Tour ging ja durch Deutschland und Tschechien, aber mit 17 Menschen, die Brasilien zuvor nie verlassen hatten. Da haben alle dazu gelernt. Abgesehen von den immensen Kosten und Aufgaben war es eine gigantische Herausforderung.

Welche Unterstützungen, Hilfen im Rahmender völkerverbindenden Aktivitäten erfährt menino beispielsweise vom Kreis Ahrweiler, von Verantwortlichen des Landes Rheinland-Pfalz oder der Bundesministerien?
Stephan Glöckner: Wir haben vor Jahren bereits die Ehrenplakette des Landkreises Ahrweiler erhalten. Was uns aber erheblich mehr freut, sind auch von dieser Seite her die Spendenbereitschaft und die Band-Buchungen.

Woher kommen denn die Spenden, wer übernimmt Patenschaften für brasilianische Straßenkinder und das Projekt Erê?
Stephan Glöckner: Die großen Spenden kommen von Firmen und vielen Privatleuten. Unser Verein und unsere Arbeit sind sehr bekannt und genießen großes Vertrauen. Und das ist wichtig, denn nur so können wir langfristig und konstant das Projekt Erê im Nordosten Brasiliens unterstützen.

Was bedeuten, für was stehen die Namen Erê und menino?
Stephan Glöckner: Erê ist ein göttliches Kindwesen und steht für Sensibilität des jungen und lernfähigen Menschen. Menino bedeutet ,Junge’ und ist für Deutsche ein Kunstwort. Wir fanden es prägnant und passend.

Die vielfach hoch gelobte Musikgruppe menino hat seit 1994 vier Alben veröffentlicht. „39°“,Titel der aktuellen CD, und die DVD „New Latin Pop“ erschienen vor rund fünf Jahren. Eine kleine Ewigkeit im Showbiz. . .
Stephan Glöckner: Wir haben ja teilweise noch unsere Berufe und sind außerdem in vielerlei musikalischen Projekten tätig. Winfried und ich haben eine Kinderlieder-CD und das Maria Pereira-Album mit dem Brasilianer Paulo Matricó produziert. Winfried betreibt das TOCA-Studio und ich habe kürzlich noch bei einem Schweizer Dance-Projekt mitgewirkt. Auch die anderen Bandmitglieder sind äußerst aktiv. Vier menino-Alben, eine DVD und etliche Singles sprechen für sich. Man muss sich nicht ständig neu erfinden. Vielleicht aber wäre es jetzt Zeit, in der Tat, für eine Anthologie und selbstredend wird bald wieder ein neues menino-Album erscheinen.

TOCA-Records heißt das hauseigene menino-Label. Wird ebenfalls dort karitative Kreativität gefördert?
Winfried Schuld: um Fördern karitativer Kreativität braucht man ein finanzielles Polster. Da wir vom Musikbusiness leben, sind da irgendwann die Möglichkeiten erschöpft. menino und der gleichnamige e. V. nehmen bereits so viel Zeit in Anspruch, dass wir es bei TOCA etwas konventioneller angehen. Neben den hauseigenen Produktionen, wozu auch der Django Reinhardt-Nachfahre Lulo Reinhardt zählt, ein großer Gitarrist aus der Region, nehmen wir auch viele andere Bandsund Künstler unter Vertrag.

Wie umfangreich ist das TOCA-Records-Programm?
Winfried Schuld: Das TOCA-Programm teilt sich in drei Bereiche auf.1. Veröffentlichungen, welche von uns im Hause produziert werden, 2. Übernahme von Produktionen anderer Künstler, die aber ebenfalls auf dem TOCA-Label erscheinen und 3.den Vertriebsbereich. Dort bieten wir auch CDsanderer Labels an. Insgesamt enthält der TOCA-Katalog zur Zeit rund 200 Tonträger.
Darunter die Gitarrenlegende Werner Lämmerhirt und „Alex Oriental Experience“, Kölner Urvater der Deutschen Rockmusik, oder unvergessene Krautrocker wie Rufus Zuphall und Improved Sound Limited. Besonders stolz sind wir auch auf den jüngst in der gesamten Republik bejubelten Jan Erik Lundqvist mit seinen schwedischen Leonard Cohen-Adaptionen. Sinzig ist übrigens in der deutschen Tonträgerindustrie auch ein Begriff durch die menino-hauseigenen TOCA-Studios.

Gehören Auftragsproduktionen zur kosmopolitischen menino-Philosophie oder dienen sie der reinen Existenzerhaltung?
Winfried Schuld: Auftragsproduktionen machen einen großen Teil unserer Existenzerweiterung aus. Neben eigenen Projekten, in die man letztlich immer wieder Zeit und Geld investiert, ist es wichtig auch seine Dienstleistungen rund um die Produktion und Vermarktung von Musik anzubieten. Jeder Künstler, obin der Musik oder in der Bildenden Kunst, ist auf Auftragsproduktionen angewiesen. Daswar selbst bei Klassikern von Mozart bis Weill/Brecht nicht anders.

Das menino-Ensemble knüpft seit den frühen1990er Jahren globale Kontakte zu kaum zählbaren Künstlern aus den musikalischen Genres Weltmusik und Jazz, Latin wie Rock, Folk, Pop und so fort. Liegt es da nicht förmlich auf der Hand, jeden Spätsommer etwa – ein großes Crossover-Festival zu organisieren, das über die Region hinaus schallen und leuchten würde?
Winfried Schuld: In 12 menino-Jahren haben wir viel Erfahrung mit größeren Veranstaltungen gesammelt. Man ist immer hin- und hergerissen zwischen visionären Ideen und der kommerziellen Umsetzung solcher Projekte. Auch hier ist man auf finanzielle Unterstützung angewiesen und muss sich gut überlegen, ob man ein solches Risiko eingeht. Mittlerweile sind wir in dieser Beziehung eher zurückhaltend geworden und konzentrieren uns auf das, was gerade ansteht. Auf Grund der interessanten Konstellation von menino, menino e. V. und dem eigenen Label ergeben sich immer wieder überraschend interessante Kooperationen.

Welche Vorteile, welche Nachteile ergeben sich durch den ländlichen Ahr-Standort des multi aktiven Kulturbetriebs TOCA gleich menino?
Windfried Schuld: Der Vorteil ist gleichzeitig auch der Nachteil. In der insgesamt ländlichen Region wird man als Label und Künstler eher wahrgenommen und die Leute kommen eigendynamisch auf uns zu. Es entspricht auch meiner Weltanschauung, nicht um jeden Preis im Big Business mitmischen zu wollen. An dem Ort, wo man gerade ist, gibt es immer was zutun, zumal es meiner Meinung nach egal ist, wo sich gerade ein Büro oder Studio befindet. Sicherlich ist es in den größeren Städten wie Köln, Hamburg, Frankfurt, München oder Berlin leichter seine Produkte zu präsentieren.

Ein Rundfunk-Kollege meinte neulich, dass menino-Stücke intellektuelle Samba-Versionen der öligen Rockpop-Schlager von PUR („Abenteuerland“) seien. Auf diese Bananenflanke bitte einen Konter zum Finale!
Stephan Glöckner: Ist das ein Kompliment? Immerhin hatten PUR großen Erfolg. menino ist menino. Da sind dermaßen viele Einflüsse aus mindestens zwei Jahrzehnten drin. Und wer das für intellektuellen Samba hält, weiß von brasilianischer Kultur nichts.

Mit dem Verkauf der CD „Ein ganz neuerTag“ der Gruppemenino wird ein Straßenkinderprojektin Brasilien gefördert

CD-Album JUNO