Gedenken an den Komponisten Tilo Medek (1940 – 2006)

Seine Musik bleibt auch in unserer Landschaft an Rhein und Ahr verwurzelt

Prof. Helmut M. Schäfer1)

Was maßt du dir da an! Dieser Gedanke verlässt mich nicht, seit ich immer wieder in dem schmalen Heft mit den Freundesbriefen lese, das anlässlich des ersten, spontanen Gedenkkonzertes für den am 3. Februar 2006 verstorbenen Komponisten Tilo Medek im Bahnhof Rolandseck seine Tochter Clara zusammengestellt hat.

In dem Heft erzählen Freunde und Kollegen, jeder ein Großer auf seinem Gebiet im Reich der Musik, von ihrer musikalischen und persönlichen Freundschaft zu Medek. Und in der Welt der Literatur und der Bildenden Kunst ging es ihm nicht anders. Ein Menschenfischer war er. Konnte er überhaupt auf Menschen treffen, ohne sie sofort freundschaftlich für sich einzunehmen? So wie die Freunde es in den Briefen erzählen, so ist es einem selber ergangen. Neugierig und ohne Vorbehalt ging Tilo Medek auf Menschen zu. Dass ein so genialer Kopf auch den hinsichtlich der Musik bloß bemüht Interessierten an seine Welt heran ließ, wenn er nur etwas aus anderen Lebensbereichen mitbringt und offen ist, das macht diese Begegnung zu einem ungewöhnlichen Geschenk. – Nur in diesem Sinne sei die kleine Darstellung gewagt.

Begegnungen

Zuvor sei noch die Kehrseite jenes Geschenkserwähnt: die Traurigkeit über die Begegnungen, die auf die lange Bank geschoben waren. So bleibt für so manches Thema jetzt nur das stille Gespräch ohne Gegenüber. Themen übrigens, die mit Musik weniger, umso mehr aber mit Literatur, Kulturgeschichte und Zeitgeschichte, mit „Gott und der Welt“ zu tun haben. Beide auf einen Ball der Wirtschaft und von Wirtschaftsstudenten in Koblenz eher verschlagen, waren wir ins Gespräch gekommen. Ein Komponist aus Oberwinter? In dieser Gegend gilt es doch, in ein paar Jahren eine Hochschule aufbauen! Könnte man da nicht…? Natürlich kann man. - Hätte ich die Courage zu fragen auch aufgebracht, wenn ich damals schon gewusst hätte, wer dieser Mann ist?

„Campus-Passagen“

Ein paar Jahre später war es soweit mit der Hochschule in Remagen. Tilo Medek erinnerte sich und nahm den Auftrag an, für die Eröffnung „etwas“ zu komponieren. - Wird schon nicht jede Hochschule mit einer eigenen Komposition eröffnet, so hat bei der Einweihung des RheinAhrCampus der Fachhochschule Koblenz am 5.10.1998 einer der ganz großen zeitgenössischen deutschen Komponisten es sich nicht nehmen lassen, sie auch selber am Klavier vorzustellen.

Der Komponist Tilo Medek, 2005

Die fünf Klavierminiaturen sind Teil der „Campus-Passagen“. Dabei handelt es sich um den 3.Teil der „Passagen“. Der 2. Teil war im gleichen Jahr zur Einweihung des Barlach-Museumsneubaus in Güstrow entstanden. Als „Heft 4“sollten 2000-2005 die „Gedenkanstöße“ den Abschluss bilden.

Zum Werdegang des Komponisten

Tilo Medek ist am 22.1.1940 in Jena als Sohn des Kammermusikers und Komponisten Willy Müller-Medek geboren. Prägend für seine Ausbildung wurde seine Teilnahme als Student aus der DDR am 12. Internationalen Ferienkurs für Neue Musik in Darmstadt 1957, u. a. mit Luigi Nono, Hermann Scherchen und Karlheinz Stockhausen. Die Aufnahme des Studiums an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin – wo er sich neben den Musikwissenschaften auch mit Psychologie, Kunstgeschichte, Theologie und Gartenarchitektur befasste – war mit Problemen verbunden, hatte Medek doch nach dem Abitur das praktische Jahr in der Produktion der DDR verweigert. Nach dem Mauerbau 1961wurde ihm das Stipendium gestrichen, er wurde freiberuflicher Korrepetitor am Ensemble der Berliner Arbeiterjugend. In dieser Zeit und auch nach Abschluss des Studiums 1964 komponierte er mehrere Hörspiel- und Bühnenmusiken.

Größere politische Schwierigkeiten entstanden Medek im Zusammenhang mit dem Prager Frühling 1968, ausgelöst u. a. durch seine Komposition „Das Dekret über den Frieden“ (Lenin). Anläßlich der Biermann-Ausbürgerung am 15.7.1977 wurde Medek „aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen“ und siedelte in die Bundesrepublik über; er wohnte in Honnef, Unkel und seit 1985 auf der Rheinhöhe oberhalb von Oberwinter. Zum Anecken fand der„homo politicus“ Anlass auch in der Bundesrepublik; seine Böll-Oper „Katharina Blum“(1984/86) wurde erst 1991 in Bielefeld uraufgeführt. Im Internet finden sich anrührende Zeugnisse von Begegnungen Medeks mit seinen Freunden Heinrich Böll, Boris Birger und Lew Kopelew.

„Klassizistische Moderne“

Von den modischen Tendenzen der in der Bundesrepublik dominierenden „Avantgarde“ hat Medek sich stets ferngehalten. Mit dem Begriff der „klassizistischen Moderne“ - er erinnert wohl nicht zufällig an die „klassische Moderne“ der Bildenden Kunst - hat Prof. Andreas Eckhardt, der Direktor des Bonner Beethoven-Hauses versucht, es zu fassen. Nicht Schönberg, Webern, Adorno sind Medeks Hausgötter. Fachleute sehen ihn in der Tradtion von Schostakowitsch, Mussorgski, Lutoslawski,J anacek, Britten, Weill, Eisler. Was das Gegen-den-Strom-Schwimmen für das Leben – auch das geistige Überleben – des Komponisten und seiner Familie in der Kulturlandschaft der Bundesrepublik bedeutete, kann man nur ahnen.

Medeks musikalische Sprache blieb stets verständlich, ohne ins Programm-musikalische abzugleiten. Sein Werk ist äußerst vielgestaltig. Es umfasst Kammermusiken aller Art, Klavierwerke, Orgelkompositionen, Chorstücke. Obwohl konfessionell ungebunden, griff Medek zahlreiche christliche Themen auf. Ein fast diesseitig lebensfrohes Tedeum, die Ausgestaltung eines Pfingstgottesdienstes in Stuttgart und mancher Bezug auf J. S. Bach zeugen hiervon. Gelegentlich rekonstuierte er unvollständige Werke, so z.B. von Eisler und Richard Strauss. Beethoven entdeckte Medek erst spät; die ideologische Einvernahme der 9. Symphonie in der DDR hatte ihn abgestoßen. Doch die Miniaturen öffneten ihm den Zugang zu seinem Bonner Nachbarn: Für das Beethoven-Fest 2001 orchestrierte Medek Beethovens Bagatellen.

Auszeichnungen

Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang. Für seine „Todesfuge“ wurde Medek 1967 vom Internationalen Komponistenwettbewerb der niederländischen Stiftung Gaudeamus ausgezeichnet, für das „Dekret über den Frieden“1968 von der New York State University und1975 für seine „Kindermesse“ von der Tribune Internationale des Compositeurs der UNESCO, um nur einige der internationalen Preise zunennen. 1992 war er Ehrenkomponist des 8.Kirchenchorfestivals in Nantes, 1994 wurde er mit einem Ehrenaufenthalt an der Villa Massimo geehrt.

Die Arbeit mit dem musikalischen Nachwuchs lag Tilo Medek besonders am Herzen. „Die betrunkene Sonne“ erlebte in wenigen Jahren Aufführungen in über 60 Städten. Er war nicht nur Gründungsmitglied der Freien Akademie der Künste Mannheim; seit 2002 hat er eine kompositorische Unterweisung am Staatlichen Musikgymnasium in Montabaur aufgebaut.

Mit Tilo Medek hat die Musikwelt einen ihrer Großen verloren. Sein Leben und sein Werkspiegeln wesentliche Elemente unserer kulturellen und politischen Geschichte wieder. Die Region Mittelrhein kann stolz sein, dass er hier gelebt, Anregungen empfangen und in sein Werk aufgenommen hat. Sie sollte hierin auch eine Mitverantwortung für das Werk des Komponisten erkennen.

Anmerkungen:

  1. Prof. Helmut M. Schäfer ist Jurist. Er war Gründungspräsident der Fachhochschule Koblenz und Gründungsbeauftragter für deren RheinAhr-Campus in Remagen.