Die Namenswahl der Juden 1808 in den Bürgermeistereien Ahrweiler, Gelsdorf und Mayschoss
Hans Kleinpass
Für einige Bürgermeistereien des Kreises Ahrweiler wurde dieses Thema bereits in früheren Heimat-Jahrbüchern behandelt: für die Bürgermeistereien Heimersheim und Ringen im Jahrbuch 2005, S. 161-165, für die Bürgermeisterei Niederbreisig im Heimat-Jahrbuch 2006, S. 143-148. Unter Hinweis auf diese früheren Beiträge sei hier zur Erläuterung nur kurz beschrieben, wie es zu dieser Namenswahl der Juden im Jahre 1808 kam und vor welchem historischen Hintergrund sie stattfand.
Neue Verwaltungs-Organisation
Ab 1794 waren die linksrheinischen Gebiete für rund zwei Jahrzehnte von den Franzosen besetzt,1) die im Rahmen ihrer Verwaltung eine Unmenge von Gesetzen, Dekreten, Edikten und sonstigen Verordnungen erließen. Nach und nach schufen die Franzosen hier eine völlig neue Verwaltungs-Organisation: vier Departements mit jeweils mehreren Arrondissements, die jeweils eine Reihe von Kantonen umfassten. Innerhalb der Kantone gab es als kleinste Verwaltungseinheit die neu eingerichtete französische „Mairie“ (= Bürgermeisterei) mit einem von den Franzosen ernannten „Maire“ (= Bürgermeister) an der Spitze. Französisch wurde damals auch hier vorübergehend zur geltenden Amtssprache, was manchen Einheimischen ganz sicher oft vor große Probleme gestellt haben mag. Nach dem Frieden von Lunéville (9. Februar 1801) gehörten die besetzten linksrheinischen Gebiete auch völkerrechtlich zum französischen Staatsgebiet. Die Bewohner der besetzten Gebiete und damit auch die hier lebenden Rheinländer wurden dadurch vorübergehend bis 1814 französische Staatsbürger.
Der „Revolutionskalender“
Selbst der alte Kalender war den Franzosen nicht mehr gut genug und wurde für ein gutes Jahrzehnt durch einen so genannten „Revolutionskalender“ ersetzt. Dieser völlig neue, zudem reichlich verwirrende Kalender, dessen Jahr 1 am 22. September 1792 begonnen hatte, war durch französisches Konventsdekret vom 5. Oktober 1793 eingeführt worden. Man rechnete dabei 12 Monate zu je 30 Tagen, denen jeweils am Schluss des Jahres fünf, in Schaltjahren (alle vier Jahre) sechs „jours complémentaires“ (= Ergänzungstage) hinzugefügt wurden. Für die Monate hatte seinerzeit das Mitglied des französischen Konvents, Fabre Eglantine, neue Namen vorgeschlagen, die auch angenommen wurden, was aber nicht verhinderte, dass der erfindungsreiche Kalendermann 1794 aufs Schafott geführt wurde. Die neuen Monatsnamen, aus dem Leben des Landmannes genommen, lauteten: Vendémiaire, Brumaire, Frimaire, Nivôse, Pluviôse, Ventôse, Germinal, Floréal, Prairial, Messidor, Thermidor, Fructidor. Die entsprechenden deutschen Bezeichnungen sind: Weinmonat, Nebelmonat, Reifmonat, Schneemonat, Regenmonat, Windmonat, Keimmonat, Blütenmonat, Wiesenmonat, Erntemonat, Hitzemonat, Fruchtmonat. Gemäß Dekret Napoleons vom 9. September 1805 wurde der französische Revolutionskalender wieder abgeschafft, galt offiziell nur noch bis Ende 1805 und wurde ab 1806 wieder durch den alten Gregorianischen Kalender ersetzt. Trotzdem erscheinen in den hier behandelten Registern von 1808 vereinzelt auch noch Datenbezeichnungen des französischen Revolutionskalenders. Wer bei seiner Familienforschung (linksrheinisch im Zeitraum 1798 bis 1814) mit einer der damals französisch geschriebenen Personenstandsurkunden zu tun hat und dabei auf Daten des Revolutionskalenders stößt, kann das entsprechende Datum des Gregorianischen Kalenders nur mit Hilfe von Umrechnungstabellen ermitteln.
Alte jüdische Namensgebung
Jahrhunderte hindurch war die Namensgebung der Juden äußerst verwirrend. Gleichbleibende, vererbliche Familiennamen gab es bei den Juden bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nicht. Kinder erhielten in der Regel den Vornamen des Vaters als Familiennamen, der auf diese Weise von Generation zu Generation wechselte. Bei den Söhnen kam es dadurch mitunter vor, dass Vor- und Familiennamen gleichlautend waren, ein verwirrender Zustand, der in der täglichen Praxis sehr leicht zu Verwechslungen führen konnte. Das Jahr 1808 führte linksrheinisch zu einem völligen Bruch mit dieser traditionellen jüdischen Namensgebung.
Dekret vom 20. Juli 1808
Ein Dekret Napoleons vom 20. Juli 1808 zwang auch die Juden im linksrheinisch besetzten Gebiet zu einer grundlegenden und tiefgreifenden Reform ihrer Namensgebung. Innerhalb von drei Monaten mussten die Juden sich in einer schriftlichen Erklärung vor allem für feste und damit auch vererbliche Familiennamen entscheiden. Die Erklärungen waren abzugeben vor dem zuständigen Standesbeamten, dessen Aufgaben in den kleineren Gemeinden meist von den Bürgermeistern wahrgenommen wurden. Für die minderjährigen Kinder waren in der Regel die Väter für die Abgabe der entsprechenden Erklärung zur künftigen Namenswahl zuständig. Auch wer die alten Vor- und Familiennamen beibehalten wollte, musste das zur Niederschrift erklären.
Die Register zur Namenswahl
Für die Namenswahl der Juden wurden 1808 zeitgleich für jede „Mairie“ (= Bürgermeisterei) zwei so genannte „Register“ angelegt. Eine Ausfertigung blieb beim zuständigen Standesamt. Die sorgfältig abgezählten, paraphierten und mit Seitenzahlen versehenen Registerblätter wurden von der französischen Justizverwaltung des jeweiligen Arrondissements zentral vorbereitet. Die damaligen Bürgermeistereien Ahrweiler, Gelsdorf und Mayschoss gehörten 1808 zum Rhein-Mosel-Departement / Arrondissement Bonn / Kanton Ahrweiler. Die entsprechenden „Register“ wurden demgemäß in Bonn vorbereitet. Kurze einleitende Texte auf Seite 1 erläutern Sinn und Zweck des jeweiligen Registers. Geschrieben sind diese Texte für die Register der Bürgermeistereien Ahrweiler und Mayschoss am 6. Oktober 1808, für die Bürgermeisterei Gelsdorf am 14. Oktober 1808. In allen drei Fällen ist diese Einleitung unterschrieben von Herrn „de BOUVIER“, seinerzeit „Président du Tribunal de premiére instance de l’Arrondissement de Bonn“ (Präsident des Tribunals erster Instanz des Arrondissements Bonn). Noch im „Bonner Sack-Kalender“ von 1813 erscheint „De Bouvier, Präsident“ als Leiter des Bonner Tribunals erster Instanz. Mit dem Übergang des Rheinlandes an Preußen im Jahre 1815 verliert sich die Spur dieses Herrn „de Bouvier“, der als Franzose damals wohl mit der französischen Besatzung wieder aus Bonn verschwand.
Die Eintragungen in diese „Register“ erfolgten handschriftlich in französischer Sprache. Ein vorgegebener Rahmentext wurde je nach Lage des Einzelfalles hin und wieder geringfügig abgewandelt. Es gab seinerzeit die Anweisung, bei den Erklärungen für die Kinder auch deren Geburtsdatum und Geburtsort in die Niederschrift aufzunehmen. Leider gab es damals keine generelle Weisung, auch bei den Erklärungen der Erwachsenen diese Daten oder wenigstens Alter und Beruf in der Niederschrift festzuhalten. Es gibt Beispiele aus anderen Orten,2) wo die Bürgermeister auch solche zusätzlichen Angaben noch eingetragen haben und damit nicht nur der jüdischen Familienforschung wertvolle Hinweise hinterlassen haben.
Für den vorliegenden Beitrag wurden die im Landeshauptarchiv Koblenz aufbewahrten „Register“3) ausgewertet. Die jeweilige Auflistung beschränkt sich hier auf die wesentlichen Angaben. Aufgeführt ist jeweils mit Namen, wer (ggf. für wen) die betreffende Erklärung abgab, ob man die alten Namen beibehielt oder sich für einen Namenswechsel entschied. Am Schluss der einzelnen Erklärungen sind jeweils nach dem Doppelpunkt die neu gewählten bzw. künftig geltenden Vor- und Familiennamen der betreffenden Personen aufgeführt.
Die Namenswahl 1808 in Ahrweiler:
Das „Register“ für die „Mairie“ Ahrweiler besteht aus vier Blättern mit acht Seiten, wovon nur fünf Seiten beschrieben sind. In der Bürgermeisterei Ahrweiler gab es demnach im Jahre 1808 insgesamt 14 jüdische Einwohner, davon vier Kinder bzw. Minderjährige. Beurkundet wurden die Erklärungen zu 1 - 6 am 15. Oktober, zu 7 - 14 am 17. Oktober 1808.
Nur ein jüdischer Einwohner (Nr. 10) behielt Vor- und Familiennamen bei, während die Mehrzahl sich ganz oder teilweise für einen Namenswechsel entschied. Nur Michel Scheuer (Nr. 1) unterschrieb mit dem neuen Namen, Anschel Abraham (Nr. 6) dagegen mit seinen alten Namen. Bei den übrigen Erklärungen fehlt die Unterschrift der Erklärenden, weil sie entweder nicht schreiben konnten („ne savoir écrire“ / Nrn. 2 - 4) oder nur die hebräische Schrift beherrschten (Nrn. 7 - 14).
Alle 14 Erklärungen sind unterschrieben vom damaligen „Maire“ Georg Kriechel, einem früheren Gerichtsschreiber, der von 1803 bis 1812 Bürgermeister von Ahrweiler war.4) Am 2. November 1808 hat Maire Kriechel dieses Register der Mairie Ahrweiler geschlossen.
Die Namenswahl 1808 in Gelsdorf:
Auch das „Register“ der Mairie Gelsdorf besteht nur aus vier Blättern mit acht Seiten. Beschrieben sind vier Seiten mit 12 Erklärungen, davon acht für Kinder bzw. Minderjährige. In der Bürgermeisterei Gelsdorf gab es damals offenbar nur die beiden jüdischen Familien „BERLIN“ und „KRAEMER“. Die Eheleute Jacques (= Jakob) BERLIN (Nrn. 1 - 2) hatten fünf Kinder (Nrn. 3 - 7), davon vier im Zeitraum 1795 - 1804 in Remagen und eine Tochter 1806 in Gelsdorf geboren. Die Familie BERLIN ist offenbar um 1805 von Remagen nach Gelsdorf umgezogen. Die Eheleute Joseph KRAEMER (Nrn. 8 - 9) hatten drei Kinder (Nrn. 10 12), die alle im Zeitraum 1805 - 1808 in Gelsdorf geboren wurden. Während die beiden Ehefrauen (Nrn. 2, 9) nicht unterschreiben konnten („ne pas savoir signer“), sind die Erklärungen Nr. 1 und 3 - 7 von „Jakob Berlin“ und jene zu Nr. 8 und 10 - 12 von „Joseph Krämer“ unterschrieben. Die Familie „BERLIN“ behielt ihren Familiennamen auch nach 1808 bei, während der Familienname „KRAEMER“ 1808 neu gewählt wurde. Bei den drei Kindern dieser Familie (Nrn. 10 - 12) ist eindeutig feststellbar, dass diese entsprechend der jüdischen Tradition den alten väterlichen Vornamen „Moise“ bis 1808 als Familiennamen geführt hatten.
Alle 12 Erklärungen wurden beurkundet am 15. Dezember 1808 und sind unterschrieben vom damaligen Maire von Gelsdorf, der hier nur kurz und bündig mit „Gruben“ unterzeichnete. Hinter diesem zunächst unscheinbar klingenden Namen verbirgt sich ganz bescheiden Franz Heinrich Freiherr von Gruben, geboren 26. September 1774 in Bonn als jüngstes Kind des kurkölnischen Geheimen Hofrates („Electoris Coloniensis Consiliarius Intimus“) Constantin von Gruben und der Maria Anna von Vogelius. Hofrat von Gruben, geboren in Ahrweiler, erwarb in den 1760er Jahren die mittelalterliche Burg Gelsdorf, ließ sie niederlegen und dort für seine Familie ein standesgemäßes Schloss erbauen.5) Franz Heinrich, der jüngste Spross der Familie, wurde laut Kirchenbuch der kath. Pfarrei St. Martin in Bonn6) am 26. September 1774 auf folgende Vornamen getauft: „Franciscus Regis Henricus, Aloysius, Cornelius, Maria, Antonius de Padua, Franciscus de Paula, Jo(h)annes Nepomucenus, Apolinaris, Cyprianus“. Auch seine in Bonn geborenen und dort getauften Geschwister waren reichlich mit Vornamen versorgt. Vor allem bei Angehörigen großer und bedeutender Adelsfamilien ist eine derartige Häufung von Taufnamen nahezu der Regelfall. 1806 wurde Franz Heinrich Freiherr von Gruben „Maire“ (= Bürgermeister) von Gelsdorf, erhielt 1814 auch die Verwaltung der Bürgermeisterei Mayschoss dazu, wurde 1815 Bürgermeister von Kuchenheim / bei Euskirchen, erhielt im gleichen Jahr seine Berufung als Kreiskommissar in Ahrweiler, war von 1816 bis 1820 erster Landrat des Kreises Ahrweiler,7) später Regierungsrat des Fürsten von Solms-Braunsfeld und starb am 14. Februar 1848 in Koblenz.
Die Namenswahl in Mayschoss:
Das „Register“ über die Namenswahl der Juden in Mayschoss besteht ebenfalls nur
aus vier Blättern mit acht Seiten, von denen sieben beschrieben sind. Nach den
Eintragungen gab es 1808 in der Bürgermeisterei Mayschoss 45 jüdische Einwohner,
davon nahezu die Hälfte Kinder und Minderjährige. Alle 45 Erklärungen wurden am
16. Oktober 1808 beurkundet und vom damaligen Bürgermeister Hens unterzeichnet.
Nahezu vollzählig entschieden sich die Juden in Mayschoss damals für neue
Vor- und Familiennamen. Nur eine Frau (Nr. 14) behielt ihren alten Familiennamen
bei. Ein Ehepaar mit sechs Kindern (vgl. Nrn. 1 - 8) entschied sich seinerzeit
für den neuen Familiennamen „WEISS“, während 15 jüdische Einwohner (vgl. Nrn. 17
- 31), also ein Drittel, den neuen Familiennamen „SCHWEIZER“ wählte. Der unter
den Nrn: 1 und 3 - 8 Genannte, im Register als „Leib Jacques“ eingetragen, hat
sehr wahrscheinlich bis 1808 den Familiennamen „JACOB“ geführt, denn „Jacques“
war mit Sicherheit kein alter jüdischer Familienname.
Die Beurkundung der Namenswahl erfolgte 1808 in der damals hier geltenden
französischen Amtssprache. Vieles spricht dafür, dass man seinerzeit den alten
Familiennamen „JACOB“ wohl für einen Vornamen gehalten hat, ihn fälschlich ins
Französische übersetzt und entsprechend auch bei der Beurkundung eingetragen
hat. Im übrigen wurde hier die damals französische Schreibweise vieler Vornamen
später in der Regel durch die deutsche Namensform ersetzt. So wurde dann z. B.
aus „Jacques“ ein „Jakob“, aus „Alexandre“ ein „Alexander“, aus „Claire“ eine
„Klara“, aus „Véronique“ eine „Veronika“ und aus „Clement“ ein „Clemens“.
Jeder der jüdischen Einwohner sollte seine damals zur Niederschrift abgegebene Erklärung auch unterschreiben, was allerdings auf gewisse Schwierigkeiten stieß. Zwölf Personen (vgl. Nrn: 1 - 8 / 17 - 18 / 30 - 31) konnten nur in hebräischer Schrift unterschreiben. Bei 26 Erklärungen (vgl. Nrn. 9 / 11 / 13 / 19 - 29 / 32 -43) fehlt eine Unterschrift, weil die Betreffenden erklärten, nicht unterschreiben zu können („... ne savoir signer“). Die Erklärung zu Nr. 10 ist unterzeichnet von „Gotschalick Hertz“, Nr. 12 von „Heiman Isac“, Nr. 14 von „Hendel Heiman dermahlen Helene Heiman“. Die Erklärungen zu den Nrn. 15 -16 und 44 - 45 unterschrieb „Heiman Isac dermahlen Jacob Hei-man“, der wohl mit dem unter Nr. 12 Genannten identisch sein dürfte. - Leider vermisst man auch in diesem „Register“ von Mayschoss bei vielen Beurkundungen genauere Angaben zu einzelnen Personen, des öfteren auch wünschenswerte Hinweise auf familiäre Zusammenhänge.
Anmerkungen: