Betrachtungen zu Wirtschaft und Gewerbe in Remagen im Vergleich

von 1910 zu 2006

Marlis Föhr

Situation 1910

Ein Blick in die Vergangenheit ist sinnvoll, wenn man sich über die Gegenwart Gedanken machen möchte und diese mit früher vergleicht.

Ich habe das Jahr 1910 gewählt, als wichtige Maßnahmen in der Stadt Remagen in einer friedlichen Zeit des relativen Wohlstands vor dem Ersten Weltkrieg bereits abgeschlossen waren. Hierzu zählte u. a. der Bau der Eisenbahnstrecke am Rhein, der Ahrtalbahn und die Einführung der Petroleum-Straßenbeleuchtung. Die Kirchstraße war gepflastert, eine Kanalisation vom Marktbrunnen zum Rhein verlegt und viele Grundstücke in der Gemarkung „Auf Kirres“ zusammengelegt.

Meine Betrachtungen stützen sich auf Einwohnerbücher, Erzählungen von Zeitzeugen und für die Jetzt-Zeit auf eigene Beobachtungen.

Remagen hatte 1910 rund 3300 Einwohner. Als Bürgermeister lenkte Peter Wilhelm Hoeren die Geschicke der Stadt und erwarb sich in seiner 26-jährigen Tätigkeit große Verdienste. Besondere Bedeutung legte er auf den Bau und die Verbreiterung von Straßen. So wurde die Pflasterung der Haupt- und Bachstraße, sowie der Drususplatz und ein Teil der Drususstraße fertiggestellt, Bürgersteige asphaltiert. Anstelle des alten Polizeigefängnisses ließ er ein Postamt bauen. Die erste Höhere Mädchenschule öffnete ihre Pforten, und die neue Knabenschule in der Alte Straße konnte genutzt werden. Bereits vorhanden waren eine katholische und evangelische Volksschule. Die Franziskanerinnen unterhielten im St. Anna-Kloster eine Kinderbewahrschule. Neben der katholischen und der evangelischen Gemeinde gab es auch eine israelitische Kultusgemeinde.

 

Die Geschäftsstraße von Remagen: Die Hauptstraße (heute Marktstraße), vor 1933

Das Krankenhaus „Maria Stern“ und das Pensionat im St. Anna-Kloster, ein Heim für alte Damen, zählten zu den Wohltätigkeitsanstalten. Zwei Ärzte und eine Apotheke sorgten für die Gesunderhaltung der Bewohner.

Wirtschaftsbetriebe

Der Weinbau, ausschließlich Weißweine, hatte sich u.a. durch die Reblaus im ausgehenden 19. Jahrhundert stark verringert. Bekannte Lagen waren Scharfenberger, Hundsberger und Hippenberger. Sechs Weinhandlungen verkauften Eigengewächse und Weine anderer Weinanbaugebiete. Fünfzehn Wirtschaften luden zur Einkehr ein, Hotels mit klingendem Namen wie „Fürstenberg“, „Deutscher Kaiser“, „Rheinhotel“, „Zentralhotel“ und „Hof von Holland“ waren weit über Remagen hinaus bekannt. Neun Kolonialwaren- Milch- und Gemüsehändler, sieben Metzger und sechs Bäcker betrieben eigene Geschäfte.

Remagen war nach wie vor noch landwirtschaftlich geprägt. Einundzwanzig Landwirte bestellten ihre Felder „Auf Kirres“ und in der „Goldenen Meile“. Viele von ihnen waren gleichzeitig auch Fuhrleute und Hauderer (Mietfuhrleute). Hinzu kamen noch drei Fuhrunternehmer und ein Güterbesteller.

Zu den verarbeitenden Betrieben zählten die Rheinische Fruchtsaftpresserei und Geleefabrik van Hees, sowie die Rheinische Dampflakritzenfabrik Finkeldey und Windues.

Bekleidung und Wäsche kaufte man in drei Manufakturwarenhandlungen. Vier Schuhgeschäfte, sechs Schumacher, zwei Schneidermeister, drei Hutmacherinnen, ein Uhrmacher, vier Friseure befanden sich ebenfalls im Stadtzentrum.

Sechs Bauunternehmer, fünf Anstreicher-, vier Schreinerei-, zwei Klempnerbetriebe übernahmen Aufträge in Remagen und Umgebung.

Vier Schmiedemeister, u.a. für das Beschlagen von Pferden zuständig, ein Wagenbauer, Schlossermeister und Stellmacher gingen ihrem Handwerk nach.

In zwei Schreibwarengeschäften konnte man den Bedarf an Schulheften und Stiften decken, und zwei Buchhändler besorgten Schul- und Unterhaltungsliteratur.

Es gab ein Geschäft für Haushaltswaren aller Art, fünf Gärtner verkauften Blumen, Pflanzen und Sträucher und waren zuständig für die Friedhofspflege.

Alles in allem war es ein gut ausgewogenes Angebot für die Bedürfnisse des täglichen Lebens in Remagen, sodass die meisten Bewohner alle Dinge des täglichen Bedarfs vor Ort kauften oder anfertigen ließen.

Blick in die Remagener Marktstraße, die seit rund 20 Jahren Fußgängerzone ist.

Der weitere wirtschaftliche Aufschwung in Remagen wurde durch die beiden Weltkriege von 1914 – 1918 und 1939 – 1945 und deren Folgen stark beeinträchtigt. Ab 1947 gehört Remagen zum neuen Bundesland Rheinland-Pfalz. Das nahe Bonn als Bundeshauptstadt und Regierungssitz brachte viele Vorteile durch Arbeitsplätze in Ministerien und den Zuzug von Neubürgern. Als der Regierungssitz nach der Wiedervereinigung ab 1991 nach Berlin verlegt wurde, erhielt Remagen im Rahmen des Bonn-Berlin-Ausgleichs u. a. die Fachhochschule Rhein-Ahr-Campus, das ARP MUSEUM Bahnhof Rolandseck und Zuschüsse für den Ausbau des Gewerbegebietes Remagen-Süd. Inzwischen ist immer klarer, dass die Auswirkungen des Hauptstadtbeschlusses zumindest für Remagen dank der oben genannten Ausgleichsmaßnahmen eher positiv als negativ einzuschätzen sind.

Beobachtungen in der Kernstadt von Remagen 2006

Ein Gang im Jahre 2006 durch die Stadt Remagen, die derzeit rund 7150 (2006) Einwohner zählt, zeigt dem aufmerksamen Betrachter und Besucher, dass sich die Stadt wie viele Orte an der Rheinschiene einem ständigen Wandel unterziehen musste. Von der einst von Weinbau und Landwirtschaft geprägten Stadt entwickelte sich Remagen im letzten Jahrhundert u.a. durch den Rhein- und Ahrtourismus und die Wallfahrten zum Apollinarisberg zu einer Gemeinde, die durch ihre fremdenverkehrsfreundlichen Angebote, gute Hotels und Gastwirtschaften, leistungsfähige Geschäfte und ein aufstrebendes Handwerk viele Fremde und Besucher anzog und den Bewohnern die Möglichkeit bot, hiervon gut zu leben. Schaut man sich heute die einst so lebendige Marktstraße im Stadtkern an, so bemerkt man als Remagener Bürgerin, die die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg und die Wirtschaftsentwicklung nach 1945 bewusst erlebt hat, einen starken Wandel. Veränderte Einkaufsgewohnheiten, die Einrichtung der Fußgängerzone in den 80er Jahren, aber auch die fehlende Nachfolge alteingesessener Geschäftsleute führte dazu, dass die Marktstraße heute ein anderes Gesicht hat. Der Wechsel der Geschäfte beschleunigt sich, hin wieder gibt es einzelne leerstehende Ladenlokale.

Nur wenigen Betrieben aus der Vorkriegszeit ist es gelungen, die Nachfolge aus der eigenen Familie sicher zu stellen. Oft können auch zwei Familien nicht mehr von einem Geschäft existieren - oder es besteht auch kein Interesse der nachfolgenden Generation an einer Fortführung des Familienbetriebes. Auch Handwerker schicken ihre Kinder auf weiterführende Schulen, um ihnen für später ein breiteres Spektrum an Berufsmöglichkeiten zu bieten. Die Kunden scheuen häufig die hohen Löhne und stellen größere Ansprüche an Leistung und Ausführung ihrer Aufträge. Viele Betriebe klagen über die Zahlungsmoral von Kunden. Gerade kleinere Unternehmen können dadurch leicht in Schwierigkeiten geraten.

Das Freizeit- und Urlaubsverhalten hat sich grundlegend geändert. Flüge in die weite Welt zu fernen Urlaubszielen sind erschwinglich geworden. Darum geben viele Menschen ihr Geld lieber für den Urlaub im Ausland aus als im Inland. Hiervon ist auch der Rheintourismus betroffen.

Durch gestiegene Kosten haben sich nicht nur im Gesundheitsbereich die Ausgaben vieler Familien erhöht. Auch die Aufwendungen der Familien für Bildung und Ausbildung der Kinder sind gestiegen. Bei vielen stagnieren zudem die Einkommen.

Das Einkaufsverhalten hat sich auch dadurch stark geändert. Viele kaufen nur noch in großen Supermärkten in den Gewerbegebieten außerhalb der Innenstadt, was die traditionellen Läden spüren.

Remagen hatte Anfang 2006 noch drei Bäcker und zwei Metzger mit eigenem Geschäft. Obst und Gemüse bieten ein Hofladen, mehrere türkische Händler und die Stände freitags auf dem Wochenmarkt. Darüber hinaus haben zwei innerstädtische Supermärkte vieles von dem im Angebot, was man früher in den einzelnen kleinen Geschäften kaufen konnte. Was sind die Ursachen? Liegt es an der Fußgängerzone, die nicht mehr mit dem Auto befahren werden kann und für größere Einkäufe nicht in Frage kommt? Liegt es an den Supermärkten mit ausreichenden Parkplätzen und dem größeren, oft preiswerteren Angebot? Oder liegt es an den Menschen, die sich als Kunden nicht mehr an ein bestimmtes Geschäft gebunden fühlen und nur dort einkaufen, wo es billiger ist?

Allgemein wachsende wirtschaftliche Unsicherheit, zunehmende Mobilität und die Errichtung von Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ veränderten das Gesicht der Innenstädte. Renommierte Fachgeschäfte werden vor allem in kleineren Städten durch Billigläden ersetzt oder bleiben leer.

Die Tendenz zu Billigläden ist in Remagen glücklicherweise bisher nur gering ausgeprägt. Neuvermietungen der letzten Jahre ergänzen fast durchweg das vorhandene Angebot im eher hochwertigen Bereich. Nicht genutzte Ladenlokale sind zwar kein schöner Anblick, es gibt aber Ansätze zu einer „Zwischennutzung“, z. B. durch Ausstellungen von Künstlern oder Vereinspräsentationen. Sicher muss zur weiteren Stabilisierung der Innenstadt auch ein Umdenkungsprozess bei der Festsetzung der Ladenmieten stattfinden.

Der Anteil der Geschäfte, die Textilien verkaufen ist beständig gestiegen und heute der entscheidende Pluspunkt der Remagener Innenstadt. Durch die gemeinsame Initiative von Stadt und Werbegemeinschaft konnte als wichtige Angebotsergänzung vor kurzem auch ein großes Schuhgeschäft angesiedelt werden. Zur Belebung der Fußgängerzone nach Geschäftsschluss wären meines Erachtens nach weitere Straßencafes oder entsprechende Gastronomiebetriebe dringend von Nöten. So könnten auch schön gestaltete Schaufenster potentielle Kunden nach Geschäftsschluss anziehen und zu künftigen Einkäufen animieren.

Eine Fußgängerzone braucht einfach eine gesunde Mischung von Geschäften für den Mittelstand, wo Familien Dinge für den täglichen Gebrauch zu erschwinglichen Preisen einkaufen können. Dass die Innenstadt von Remagen große Anziehungskraft besitzt, wird durch den alljährlichen Lebenskunstmarkt eindrucksvoll belegt, der tausende Menschen aus nah und fern in die Innenstadt zieht und zeigt, dass Remagen nach wie vor attraktiv ist.