Als Anfang der 1960er Jahre die ersten Gastarbeiter kamen

Marianne Breuer

Weil mein Mann und ich das elterliche Anwesen übernehmen und meine Schwester ausbezahlen wollten, hatten wir beschlossen, dass ich ein paar Jahre mitverdienen sollte. Im Frühjahr 1960 war es dann so weit und ich konnte bei der Ruhr-Glas-Fabrik in Niederbreisig anfangen. Die Fabrik hatte zu dieser Zeit wohl über 200 Mitarbeiter.

Meine Mutter versorgte während meiner Arbeit unsere zwei damals vier und fünf Jahre alten Jungen. Ich arbeitete in der Glasfabrik, die Flaschen herstellte, in der Früh- und Spätschicht im Versand, später auch in der Verpackung. Mein Mann war in der Schlosserei beschäftigt. Irgendwann kam schon kurz nach meiner Einstellung das Gespräch auf griechische Gastarbeiter, die bald kommen sollten, denn damals herrschte ja Arbeitskräftemangel.

Ein türkischer Arbeiter war zu diesem Zeitpunkt schon im Werk beschäftigt. Er war Muslime. Das wusste ich von meinem Mann. Wenn er Frühschicht hatte, kam er jeden Morgen zum Gebet in die Werkstatt meines Mannes.

Dann im Spätsommer 1960 hieß es: „Die Gastarbeiter kommen!“ Alle waren neugierig, Männer und Frauen gleichermaßen. Wir hatten ja schon Franzosen, Engländer und dunkelhäutige Menschen gesehen und kennen gelernt, doch jetzt sollten wir mit Menschen, die vermutlich unsere Sprache nicht sprachen, täglich zusammen arbeiten. Das war etwas völlig Neues.

Luftaufnahme der Glasfabrik in der Goldenen Meile, um 1960

Wir waren alle gespannt.

Es kamen nach meiner Erinnerung rund zehn Männer im Alter von etwa 18 bis 35 Jahren. Einige sahen sehr gut aus, waren schwarzhaarig und hatten dunkle Augen. Heute würde ich sagen, Menschen aus südlichen Ländern, wie man sie heute täglich aus unserem Straßenbild kennt. Sie wurden von ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen freundlich aufgenommen. Man arbeitete Hand in Hand. Sie drückten sich vor keiner Arbeit, waren aufmerksam, von schneller Auffassungsgabe und hilfsbereit. Es war ein gutes Miteinander.

Wie ich das so mitbekommen habe, hat man auch nicht versucht sie auszunutzen oder irgendwie zu benachteiligten. Im Gegenteil: Alle Männer arbeiteten in Früh-, Spät- und Nachtschicht in der Verpackung oder wo sie gerade gebraucht wurden. Auch machten alle viele Überstunden, um möglichst viel Geld nach Hause schicken zu können. Die neuen Arbeiter wohnten in einem Haus ganz in der Nähe der Glasfabrik hinter dem Bahnübergang Richtung Bundesstraße 9.

Mit der sprachlichen Verständigung ging es besser als wir gedacht hatten. Einige sprachen schon etwas Deutsch, sie hatten nämlich schon in einem anderen deutschen Betrieb gearbeitet. Mit ein bisschen gutem Willen von beiden Seiten klappte es problemlos Hinzu kam, dass keiner damals um seinen Arbeitsplatz bangen musste, wie das heute oft behauptet wird. Die Gastarbeiter wurden dringend gebraucht in den Fabriken, im Bergbau unter Tage, im Baugewerbe und in der Gastronomie. So kamen auch viele Ausländer in den Kreis Ahrweiler.

Alle Gastarbeiter, egal aus welchem Land, haben viel zu unserem Wohlstand beigetragen. Auch wurden damals Freundschaften geschlossen. Der eine oder andere Neue wurde zum Beispiel am Wochenende nach Hause eingeladen. Man trank ein Bier miteinander oder traf sich auf einer Feier. Man verstand sich gut. Auch wir hatten zu Weihnachten einen griechischen Kollegen eingeladen. Kurze Zeit später ist er wieder zurück in sein Heimatland, weil sein Visum abgelaufen war. Wir schrieben noch einige Male, jedoch brach der Kontakt ab. Ein tüchtiger junger Türke, der als Elektriker in der Glasfabrik arbeitete, heiratete eine deutsche Frau aus unserem Nachbarort. Auch nachdem er zu Mannesmann nach Düsseldorf wechselte, wo er bis zur Pensionierung arbeitete, hat er uns noch einige Male besucht. Von 1960 bis 1964 war ich bei der Glasfabrik beschäftigt. Wann die griechischen Gastarbeiter wieder nach Griechenland zurückgegangen sind, wie lange damals ihre Aufenthaltsgenehmigung galt, weiß ich nicht. Der eine oder andere ist wohl auch in Deutschland geblieben. Nach einer Zeit verlor man sich aus den Augen. In der Schlosserei waren auch einige türkische Männer, darunter ein Dreher und ein Schlosser angestellt worden. Mein Mann konnte als Meister nur das Beste von ihnen sagen. Mit einem von ihnen entstand eine Freundschaft. Mehmet wohnte mit seiner Familie in Sinzig. Als die Glasfabrik 1981 geschlossen wurde, blieb die Freundschaft bestehen. Wir besuchten uns öfter und er lud uns ein, mit ihm und seiner Frau in der Türkei Urlaub zu machen. Ich hätte das Angebot gerne angenommen, aber mein Mann ist kein Urlaubsmensch.

Unser türkischer Freund war sehr krank, doch hat er nie darüber gesprochen. Im November 2005 ist Mehmet auf der Palliativstation im Remagener Krankenhaus gestorben. Vor seinem Tod wollte er noch meinen Mann sprechen. Eine Begegnung kam aber leider nicht mehr zustande. Unser Freund, der in Deutschland länger gelebt und gearbeitet hatte als in seinem Vaterland, wurde in die Türkei überführt und in seiner Heimat beerdigt.